Rotmilan-Paten – welchen Beitrag können sie zum Schutz des Rotmilans leisten?

Erfahrungen aus einem zweijährigen Rotmilan-Patenschaftsprojekt auf einer Untersuchungsfläche östlich von Neumünster

Von 2018 bis 2020 wurden insbesondere in einem Raum östlich von Neumünster 23 Rotmilane (14 Altvögel und 9 Jungvögel) tot aufgefunden, von denen 17 Vögel wahrscheinlich oder nachweislich vergiftet wurden. Daraufhin wurde im Auftrag des Landesamts für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein (LLUR) ein Projekt „Regionales Monitoring Rotmilan“ für eine 300 km2 großen Fläche östlich von Neumünster konzipiert, welche die bekanntgewordenen Totfunde einschließt.

Projektgebiet östlich von Neumünster (schraffiert, 300 km2).

In diesem Gebiet verfolgt das Projekt folgende Ziele:

  • Monitoring des Brutbestandes mit Feststellung der Wiederbesiedlung der Rotmilanreviere, in denen tote Altvögel gefunden worden waren.

  • Bruterfolgsmonitoring und – soweit möglich – Feststellung der Verlustursachen.

  • Einsatz von Nestkameras: Feststellung von Brutverlauf, Todesursachen; Bindung bzw. Identifikationsmöglichkeit der Nestpaten und Patinnen mit dem jeweiligen Brutpaar bzw. der Art Rotmilan.

  • Erprobung von Nestpatenschaften, insbesondere deren Qualifizierung und Information der örtlichen Landeigentümerinnen und -eigentümer.

  • Koordination, Betreuung der Nestpatinnen und -paten.

Monitoring von Brutbestand und Bruterfolg

Die Kontrolle bekannter und die Suche nach neuen Brutplätzen ergab für beide Untersuchungsjahre mit 16 (2021) und 15 (2022) Brutnachweisen einen etwa gleich hohen Brutbestand im Untersuchungsgebiet. Durch die hohe Kontrolldichte – insbesondere durch die Patenschaften – konnten Todesfälle auch nach der Beringung der Jungvögel im Nest bis ins Ästlingsstadium festgestellt und damit die Anzahl tatsächlich flügge gewordener Jungvögel bestimmt werden.

In 2021 hatten nur 6 von 16 Paaren flügge Jungvögel. Der Teilbruterfolg (Bruterfolg der erfolgreichen Paare) lag mit 2,2 Jungvögeln pro Brutpaar vergleichsweise hoch. In 2022 war der Anteil erfolgreicher Bruten höher: es wurden bei 10 von 15 Paaren Jungvögel flügge. Der Teilbruterfolg war mit 1,5 Jungvögeln pro Brut aber geringer, so dass der Gesamtbruterfolg (Bruterfolg aller Paare) in beiden Jahren mit 0,7 (2021) und 0,9 (2022) sehr gering war und vermutlich unterhalb der für den Bestandserhalt notwendigen Höhe lag.

Vor Projektbeginn waren von 2018 bis 2020 14 tote Altvögel an 10 Orten gefunden worden (6x ein Altvogel, 4x zwei Altvögel). Für sechs dieser zehn Fundorte konnte ein Brutplatz zugeordnet werden. Mit der flächendeckenden Kartierung des Projektgebietes in den Jahren 2021 und 2022 zeigte sich, dass lediglich zwei der sechs Reviere, in denen Altvögel 2018 bis2020 tot aufgefunden wurden, nicht wiederbesiedelt worden waren. Daraus kann gefolgert werden, dass schon einmal besetzte Reviere, welche offensichtlich eine gute Habitatausstattung und somit hohe Attraktivität für den Rotmilan haben, schnell wieder besetzt werden, aber auch, dass die Rotmilane durch Nachstellung nicht dauerhaft vertrieben werden können.

Nestkameras

Innerhalb dieses Projekts sollten Nestkameras den Brutverlauf und eventuelle Prädationsereignisse dokumentieren, aber auch der Schulung und der Bindung der Patinnen und Paten an ihre Zielart dienen. Das Brutgeschehen wurde in 2021 für ein Nest im Projektgebiet live über die Projekthomepage übertragen. Im zweiten Untersuchungsjahr fand sich keine Brut innerhalb von 200 m zu einem Haus mit schneller Internetanbindung. An einem dennoch ausgewählten Brutplatz gelang die Übertragung der großen Datenmengen der kontinuierlichen Videoaufzeichnung mit Hilfe des Mobilfunknetzes (LTE-Router) nur unzureichend, so dass in 2022 keine live-Aufnahmen ins Internet gestellt werden konnten.

Für einen Ausschnitt der Nestlingszeit wurde die eingetragene Nahrung in 2021 bestimmt und quantifiziert werden (Abbildung 2).

Junger Feldhase wird am 8. Juni 2021 um 19:30 Uhr ins Nest getragen. Von links nach rechts sind Ohr, Auge und Beine des jungen Hasen zu erkennen.

Ein Jungvogel fällt am 26. Juni 2021 um 13:34 anscheinend bewusstlos aus dem Nest und stirbt am Aufprall auf den Waldboden. Der Vogel wies nach dem Befund des Landeslabores eine systemische Infektion mit entzündlichen Reaktionen in zahlreichen Organen auf.

Im Mittel von 23 Tagen mit Videoaufzeichnungen lag die bestimmte Nahrungsmenge unter 100 g pro Jungvogel; an mehreren Tagen hintereinander wurden überhaupt keine Beutetiere ins Nest getragen. Nach dem Tod eines Jungvogels (Abbildung 3) am 26.06.2021 überschritt die tägliche Nahrungsmenge den bekannten notwendigen Wert von 150 g pro Tag pro Jungvogel (Tabelle 1). Der überlebende Jungvogel ist – ausreichend versorgt – später flügge geworden.

Mittelwerte der Beutemasse pro Jungvogel und Tag für die Zeiträume mit zwei und mit einem Jungvogel. Ein Jungvogel war am 26.06.2021 aus dem Nest gefallen (s. o.)

 

Aktuelle Totfunde

In den beiden Projektjahren wurden weitere tote Greifvögel gefunden. In einem Fall bei Tasdorf wurden 2021 beide Altvögel eines Rotmilanpaares sowie ein Mäusebussard tot in unmittelbarer Nestnähe gefunden, in einem weiteren Fall wurden 2022 zwei flügge Jungvögel tot unter ihrem Nestbaum gefunden. In beiden Fällen konnte die Todesursache wegen des Zustandes der toten Vögel nicht mehr festgestellt werden; die Umstände (Nestnähe und mehrere Individuen gleichzeitig) weisen aber auf Vergiftungen hin.

Beim zweiten Fall handelt es sich um den Nestbaum im Forst Pettluis, unter dem im Jahr 2018 die ersten toten Rotmilane gefunden wurden, also den Beginn der Serie von Vergiftungen, die das Patenschaftsprojekt auf den Weg brachte.

Der Jungvogel, welcher am 26. Juni 2021 offensichtlich geschwächt aus dem Nest gefallen ist (s. Abbildung 3), war hingegen nachweislich nicht vergiftet; die nachgewiesene systemische Infektion mit entzündlichen Reaktionen in zahlreichen Organen kann durchaus eine Folge von Unterernährung gewesen sein.

 

Patenschaften

Ein Teil des Konzepts bestand darin, durch den Einsatz von geschulten Nestpatinnen und -paten eine informierte Öffentlichkeit zu schaffen, um im besten Fall die Anzahl von beabsichtigten oder unbeabsichtigten Vergiftungen zu senken. Es wurde ein Aufruf über die lokale Presse veröffentlicht. Daraufhin bewarben sich über 200 Menschen für eine Horstpatenschaft, eine unerwartet hohe Anzahl.

Das Konzept der Patenschaften hat sich sehr gut bewährt. Es ist eine große Anzahl von Menschen in der Region erreicht worden und, soweit durch das Projektteam leistbar, auch in die aktive Mitarbeit integriert worden. Durch die Form der Online-Schulungen konnten zahlreiche Interessierte auch über das Projektgebiet hinaus sensibilisiert und fortgebildet werden. Auch durch die weitere zusätzliche Pressearbeit ist das Projekt sowohl im Untersuchungsgebiet als auch in der weiteren Region bekannt geworden. Der Einsatz einer öffentlich aufrufbaren Nestkamera hat vermutlich zu einer gestärkten Identifikation mit dem Rotmilan-Paar und seinen Jungen geführt.

Die Kommunikation mit den Landeignern (Forst, Landwirtschaft, Jagd) wurde zumeist durch das Projektteam und das LLUR übernommen; so konnten nach einem fachkundigen und intensiven Austausch auch die Patinnen und Paten in ihrem ersten Betreuungsjahr die entsprechenden Personen und Strukturen (Landbesitz, Waldwirtschaft, Jagdwesen) hinreichend gut kennenlernen und dort Kontakte aufbauen und pflegen.

Die regelmäßigen Kontrollen durch die Patinnen und Paten in den Revieren im Anschluss an die sensible Bebrütungsphase erlauben eine genaue Bestimmung des Reproduktionserfolgs der Rotmilane. Die Auffindewahrscheinlichkeit vergifteter Rotmilane erhöht sich deutlich und das Auffinden von aus dem Nest gefallenen Jungen, die ohne äußere Unterstützung nicht überleben würden, wird durch die Präsenz der Patinnen und Paten erst möglich.

Junger Rotmilan, der im Projektgebiet durch einen Paten am Waldboden aufgegriffen und in den Wildpark Eekholt gebracht wurde. Dieser konnte 40 Tage später am 11. August 2021 mit großer Medienresonanz von einer Patin freigelassen werden (in der Bildmitte kniend Tierpfleger Axel Rose, Wildpark Eekholt).

Die Patinnen und Paten sind hoch motiviert und bringen unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen mit. Alle haben sich in den letzten beiden Jahren tiefer in die Thematik eingearbeitet. Damit sind vor Ort hervorragende Bedingungen geschaffen worden, um eine weitere und ggf. kontinuierliche Betreuung aufrechtzuerhalten. Ein Ende der Betreuung und Schulung würde den anfänglichen Schwung bremsen und den bisherigen grundsätzlichen Erfolg des Patenschaftsprojektes gefährden. Aus diesem Grund wird empfohlen, dieses Projekt weiter fortzuführen, wobei auch eine andere Struktur bzw. Anbindung des Projektes möglich sein kann. Der Schwerpunkt des Projektes sollte die weitere Einbindung und fortlaufende Schulung der Patinnen und Paten sein, mit dem Ziel, in den Brutrevieren Vergiftungen zu entdecken und insbesondere zu verhindern. Vor allem durch die Präsenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projektteams, der vor Ort lebenden Patinnen und Paten und der beteiligten Landeigner kann es gelingen, in dieser Region aktiv und positiv zum Schutz und Erhalt des Rotmilans beizutragen.  

Birger Reibisch, Thomas Grünkorn, Manuela Heiden, Hans Wirth, Stefan Wolff


Dieser Bericht ist im Jahresbericht zur Biologischen Vielfalt des Umweltministeriums des Landes Schleswig-Holstein erschienen.

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